Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM oder kurz: Alpha-1) ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Dabei fehlt den Patienten ein wichtiges Schutzeiweiß in der Lunge. Infolgedessen ist das Lungengewebe den aggressiven Enzymen des Immunsystems - allen voran der neutrophilen Elastase - schutzlos ausgeliefert.
Produziert wird das Eiweiß vor allem in Leberzellen. Bei einem genetisch bedingten Mangel steigt das Risiko vor allem für Leber- und Lungenkrankheiten. Besteht eine genetische Störung, kann dieser Defekt auch zu Störungen der Leberfunktion führen.
An der Leber manifestiert sich die Erkrankung meist im frühen Kindesalter, in der Jugend oder etwa ab dem 50sten Lebensjahr in Form von Leberzirrhose. Betroffene haben auch ein signifikant erhöhtes Risiko für ein Leberzellkarzinom. Der Grund dafür: Genetisch verändertes Alpha-1-Antitrypsin verfügt über eine veränderte Eiweißstruktur. Das Protein verbleibt in der Leber, dies führt zur Leberzellschädigung und das kann langfristig zu einer Leberzirrhose führen.
In der Lunge führt der Mangel dazu, dass bei Gewebsschädigungen (z.B. Infektion) die aktivierte unspezifische Immunreaktion auch gesundes Lungengewebe angreift und zersetzt - besonders die Alveolen. So entwickeln Patienten bereits in jungen Jahren (meist zwischen dem 30sten und 45sten Lebensjahr) ein Lungenemphysem. Erste Anzeichen dafür sind die typischen COPD Symptome (chronisch obstruktive Bronchitis) wie beispielsweise Atemnot, Husten mit und ohne verstärkten Auswurf. Eine COPD entsteht meistens durch Zigarettenrauch und andere externe Noxen wie Umweltbelastungen, aber auch durch häufige Atemwegsinfektionen.
Es äußern sich bei dem genetisch disponierten Alpha-1-Antitrypsin-Mangel also dieselben Symptome wie bei einer erworbenen COPD. Die Erkrankung verläuft ohne Behandlung progredient. Umso wichtiger ist eine gezielte Diagnostik, um die entsprechende Therapie einleiten zu können. Wird der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel nicht erkannt,kann schlimmstenfalls nur noch eine Lungentransplantation das Leben des Patienten retten.
Deshalb muss ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel frühzeitig erkannt und die richtige Behandlung eingeleitet werden. Die COPD-Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Pneumologie und auch die Nationale Versorgungsleitlinie COPD empfehlen eine Testung auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel für jeden COPD-Patienten.
In Deutschland geht man von ca. 8.000-16.000 Menschen mit schwerem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel aus. Diagnostiziert sind bislang aber nur 5% - die Dunkelziffer innerhalb dieser Gruppe liegt also bei 95%.
Dabei stellt das Erkennen des Gendefektes einen elementaren Aspekt für die anschließende Behandlung dar. Grund hierfür ist, dass mit einer Substitutionstherapie mit Alpha-1-Antitrypsin dem Betroffenen spezifisch geholfen werden. Dabei wird den Patienten das Alpha-1-Antitrypsin einmal die Woche per Infusion zugeführt und somit kann einer Verschlechterung der Lungenfunktion therapeutisch entgegengewirkt werden.
Trotz aller Information und Empfehlungen dauert es oft Jahre von den ersten Beschwerden bis zur Diagnosestellung. Viele Patienten werden zu spät entdeckt, Betroffenen wird geraten, das Rauchen einzustellen. Viele werden jahrelang unzureichend behandelt. Dabei ist die Diagnose relativ einfach. Mittels einer Blutuntersuchung erfolgt eine Spiegelbestimmung. Liegt der Blutspiegel unter einem sogenannten „protektiven Schwellenwert“, erfolgt dann anschließend die genetische Untersuchung auf die Genotypen (PiZZ, PiMZ und PiSZ) und somit der gezielte Nachweis.
Viele Gründe über die viel zu hohe Rate an nicht erkannten Patienten werden heute diskutiert. Für die Betroffenen hat eine unzureichende Diagnose schwerwiegende Folgen: es kann keine effektive Therapie eingeleitet werden.
Ein neuer Schnelltest, der AlphaKit QuickScreen (Fa. Grifols) stellt eine zuverlässige, sichere und sehr schnelle Methode dar, die zukünftig in jeder Facharztpraxis durchgeführt und genutzt werden kann. Hierfür entnimmt der Arzt wenige Tropfen Blut aus der Fingerbeere oder dem Ohrläppchen des Patienten und trägt dieses auf den Teststreifen auf. Nach 15 Minuten kann das Testergebnis abgelesen werden. Auf dem Streifen zeigt sich eine rote Linie (Kontrolllinie). Diese zeigt an, dass der Test funktioniert. Bleibt das Testfenster nach 15 Minuten leer, kann ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Eine weitere feine rote Linie im Testfenster hingegen deutet auf das Vorhandensein der abnormen Z-Variante des Alpha-1-Antitrypsins hin. Dies bedarf näherer Abklärungen. Im Alpha-1-Zentrallabor der Universitätsklinik Marburg kann dann kostenlos eine exakte Genotypisierung mittels AlphaKit vorgenommen werden.
Die Konsequenzen bei Nachweis eines spezifischen Genotyps
Bei MZ-Trägern besteht ein geringes Risiko eine COPD zu entwickeln. Dennoch sollten vorbeugend bestimmte Verhaltensregeln beachtet werden, die sich positiv auf die Lungenfunktion auswirken: striktes Rauchverbot, körperliche Aktivität, generell sowie insbesondere bei der Berufswahl Umweltfaktoren wie z.B. Stäube, Dämpfe oder Lösungsmittel meiden. Impfungen gegen Grippe, Pneumokokken, Hepatitis A/B sollten unbedingt wahrgenommen werden. Im Einzelfall können Fachärzte in regelmäßigen Kontrolluntersuchungen prüfen, ob Symptome einer COPD auftreten. Außerdem könnten Träger eines Z-Gens (ZZ oder MZ) die Veranlagung für Alpha-1-Antitrypsin-Mangel an ihre Kinder weitervererben. Betroffene können sich an eine genetische Beratungsstelle wenden, um sich über mögliche Konsequenzen für die eigene Familienplanung zu informieren.
Das Gen, das den Bauplan für das Eiweißmolekül Alpha-1-Antitrypsin trägt, kann im menschlichen Erbgut in mehreren Varianten, sog. Allelen, vorliegen: Die normale Kopie des Gens für AAT wird „M“ genannt. Die Variante, die die häufigste Ursache des AATM darstellt, heißt „Z“. Der AlphaKit QuickScreen reagiert, wenn sich im Blut des Getesteten das Z-AAT-Protein befindet. Das ist sowohl bei Menschen mit genetischer MZ- als auch bei Menschen mit genetischer ZZ- oder SZ-Konstellation der Fall. MZ ist für die Betroffenen mit einem geringen, SZ mit einem mittleren und ZZ mit einem hohen Risiko verbunden, an den Folgen eines AAT-Mangel s zu erkranken.
Der Test ermöglicht einen zuverlässigen Ausschluss der abnormen Z-Variante des Proteins Alpha-1-Antitrypsin. Das bedeutet für die Betroffenen, dass sie das Risiko tragen, Symptome des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels entwickeln zu können. Der Test weist die abnorme Z-Variante von Alpha-1-Antitrypsin mit einer Spezifität von 96 % nach. Bei einem negativen Testergebnis kann ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Es handelt sich um einen Screening-Test und kein Diagnostik-Tool!
Bei Patienten mit einem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel Typ PiZZ, PiZ(Null), Pi(Null, Null) und PiSZ) und mittelgradiger Störung der Lungenfunktion (FEV1 35-60%) ist eine wöchentliche intravenöse Gabe von Alpha-1-Antitrypsin, die sogenannte „Substitutionstherapie“ indiziert.
Selbstverständlich gelten auch für den „genetischen disponierten COPD Patienten“ über die Subsitutionstherapie hinaus die klassischen Empfehlungen wie bei jedem anderen COPD Patienten auch. Die inhalativen Substanzen werden gemäß dem vorliegenden Schwergrad der COPD verordnet und individuell eingesetzt. Gesunde Ernährung, regelmäßiger (Lungen-)Sport und eine konsequente Nikotinkarenz sind unabdingbare Therapiebausteine.
Des Weiteren sollte die Grippe- und auch die Pneumokokkenimpfung durchgeführt werden.
Zusammenfassung
Trotz klarer Empfehlung durch Leitlinien und Fachgesellschaften zur Testung eines jedes COPD Patienten auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel sind immer noch die meisten Patienten nicht diagnostiziert.
Obwohl die Krankheit bereits vor 50 Jahren entdeckt wurde und spezifische Therapieangebote existieren, wird die genetisch disponierte COPD doch häufig vergessen. Es existieren bereits seit Jahren deutschlandweit sog. „Alpha-1-Center“, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, als Schnittstelle zwischen Ärzten in Klinik und Praxis sowie den Alpha-1-Kinder-Centern, Fachkreise sowie Betroffene und ihre Angehörigen über die bestmögliche Versorgung der Patienten zu informieren und zu beraten.
In Kürze wird der neue Schnelltest in der Praxis zur Verfügung stehen. Es bleibt zu hoffen, dass durch diesen sinnvollen und sicheren Test die Detektionsraten deutlich erhöht werden, damit zukünftig alle Betroffenen frühzeitig erkannt und somit richtig behandelt werden können.
Univ.-Prof. Dr. med. Felix Herth
Thoraxklinik Universitätsklinikum Heidelberg
Dieser Beitrag wurde der Patientenorganisation Lungenemphysem-COPD Deutschland von der Redaktion der Fachzeitschrift Forum Sanitas explizit zur Nutzung freigegeben.
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