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Zuletzt angepasst am 26.03.2024

Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Jetzt wissen wir endlich, warum Ihre Lungenfunktion so schlecht ist. Sie haben einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel und deswegen ein Lungenemphysem. Wenn ein Patient diese Worte hört, dann ist Folgendes klar: Er hat eine angeborene Stoffwechselstörung, also eine ererbte Erkrankung, und er hat einen Arzt, der an diese Erkrankung gedacht und die entsprechenden Laboruntersuchungen des Blutes veranlasst hat.

Das ist nicht selbstverständlich. Bei dieser seltenen Erkrankung, die in erster Linie die Lungen in Form des Lungenemphysems, also des Lungenbläschenschwundes, erkranken lässt, vergehen von den ersten Beschwerden des Patienten bis zur endgültigen Diagnose 4-7 Jahre und es werden fast ebenso viele Ärzte bis dahin vom Erkrankten aufgesucht. Hochrechnungen ergeben darüber hinaus, dass nur etwa ein Zehntel der Erkrankten diagnostiziert wird. Die verbleibenden 90 % haben entweder keine Symptome, oder ihr Erkrankungsbild wird als normales Asthma, chronische Bronchitis oder Lungenemphysem bezeichnet. Damit vergibt man für den Patienten und eventuell auch für seine Verwandten und Kinder eine wichtige Möglichkeit, vor allem vorbeugend tätig zu werden.

Die Entdeckung der Erkrankung Anfang der 60er Jahre fiel Laurel und Erikson in Schweden der Zusammenhang zwischen Lungenemphysem bei recht jungen Patienten sowie von Patienten mit Leberschrumpfung (Leberzirrhose) und dem Fehlen eines bestimmten Eiweißes in der Elektrophorese, einem Routinelaborverfahren in der Inneren Medizin auf. Die weiteren Analysen identifizierten den fehlenden Stoff als das Antitrypsin, den Hemmstoff einer ganzen Reihe von Eiweiß abbauenden Stoffen (Proteasen) im Organismus. Da man fast zeitgleich entdeckte, dass im Tierversuch durch das Enzym Papain ein Lungenemphysem künstlich hervorrufen werden kann und dass ein Hemmstoff dies verhindert, war eine neue Theorie für die Entstehung des Lungenemphysems geboren. Statt der bisher als Erklärung bevorzugten Entstehung des Lungenbläschenschwundes durch die erkrankten und verengten Bronchien, aus denen dieLuft nicht ausströmen kann, entstand die Theorie der Störung des Proteasen-Antiproteasen-Gleichgewichts. Diese Theorie bestätigte sich in den folgenden Jahren. Der in der Leber produzierte Hemmstoff entsteht aufgrund von Gendefekten in veränderten äußeren Formen. In einer Form ist die Eiweißkette falsch gefaltet, kann in dieser Form die Leberzelle nicht verlassen, häuft sich dort an und führt somit zur Leberzirrhose. In einer anderen Form fehlt die Antiproteasenfunktion, welche die Lungenbläschen, die sogenannten Alveolen und kleinen Atemwege vor Proteasen schützt. Zigarettenrauch aktiviert die Proteasen und inaktiviert Antiproteasen, Infekte erhöhen die Konzentration an Proteasen und das Ungleichgewicht von Proteasen zu Antiproteasen verstärkt sich so immer weiter. Durch weltweite wissenschaftliche Aktivitäten konnten die Gendefekte auf dem Chromosom 14 gefunden werden. Basenaustausche im Erbgut führen zum Austausch von Aminosäuren, den Bausteinen der Eiweiße. Durch diese veränderten Eiweißmoleküle entsteht das gesamte Erkrankungsbild.

Der schwere Mangel, der zum Erkrankungsbild des Lungenemphysems führt, entsteht dann, wenn ein Mensch sowohl vom Vater als auch von der Mutter ein an dieser bestimmten Position defektes Gen erhält. Diese Form nennt man dann homozygot. Erhält der Mensch von einem Elternteil ein gesundes, vom anderen ein krankes Gen, so ist der Mangel weniger schwer ausgeprägt, die Lunge bleibt meist gesund. Diese Form nennt man heterozygot. Dies zu dissen ist aber ebenso wichtig, da ja auf eventuelle Nachkommen der Gendefekt weitervererbt werden kann.

Das klinische Bild Atemnot bei Belastung, Husten, Auswurf und Atemnotanfälle sind die vier Hauptsymptome eines Patienten mit Alpha- 1-Antitrypsin-Mangel (AATM) und Lungenschädigung. Damit entspricht das Beschwerdebild dem bei chronischer Bronchitis, dem ganz gewöhnlichen Raucheremphysem oder der Kombination beider Erkrankungen, die man heute allgemein mit dem aus dem Englischen kommenden Begriff der COPD (chronische obstruktive Lungenerkrankung) bezeichnet. Manchmal gleicht das Bild auch dem Asthma bronchiale mit seinem Anfallscharakter. All dies mag die Erklärung dafür sein, dass die richtige Diagnose oft nicht früh genug oder auch gar nicht gestellt wird. Es gibt aber einige typische Hinweise auf diese besondere Form der Lungenerkrankung: Erkrankung schon mit 30-40 Jahren, Häufung solcher Erkrankungen in der Familie (Eltern, Geschwister), Kombination mit schweren kindlichen Lebererkrankungen, entweder beim Patienten selber oder bei Geschwistern. Insbesondere kindliche Todesfälle an Lebererkrankungen sind hoch verdächtig. Wenn zuerst der Asthma-Charakter der Erkrankung mit Luftnotanfällen auftritt und die typische Asthmatherapie nicht wirkt, so muss an den AATM gedacht und entsprechende Untersuchungen müssen eingeleitet werden.

Diagnostik

Am Beginn steht die Bestimmung des Alpha-1-Antitrypsin-Spiegels im Blut. Weicht dieser von der Norm ab, so sind weitere Untersuchungen durchzuführen: zunächst Bestimmung des sogenannten Phänotyps, der die Erkrankung näher charakterisiert. Die verschiedenen Typen werden mit den Buchstaben M für die Normalform, Z für die in Mitteleuropa und Nordamerika häufigste Mangelform und S für die in Südeuropa häufige Mangelform bezeichnet. Durch ein Forschungsprojekt kann dies für den Arzt und Patient kostenfrei im Alpha-1-Zentrallabor an der Universitätsklinik Marburg aus einer Trockenblut-Untersuchung (AlphaKit®) erfolgen. In Deutschland leben vermutlich etwa 8.000-10.000 Menschen mit dem schweren Mangeltyp (ZZ), wobei nur etwa 10 % bekannt sind. Häufiger kommt der Defekt in Nordeuropa vor, bei Asiaten und Schwarzafrikanern kommt der Defekt nicht vor. Die Untersuchungen des Haupterkrankungsorgans Lunge sind dann zahlreich und sollten von einem erfahrenen Lungenarzt koordiniert werden: ausführliche Lungenfunktionsprüfung mit Testung für die Wirksamkeit von Bronchien erweitenden Medikamenten, Bestimmung der Sauerstoffwerte im Blut in Ruhe und unter Belastung, Röntgenuntersuchung des Brustkorbes und bei Bedarf auch ein Computertomogramm (CT) der Lunge. Mit Ultraschall sollten Herz und Bauchraum untersucht werden. Es geht um die Frage, ob auch die Leber beteiligt ist und ob eine Störung der Lunge zu einer zusätzlichen Belastung des Herzens geführt hat, was bei fortgeschrittenen Stadien nicht selten ist. Die Laboruntersuchungen umfassen auch die Leberwerte, eine Erhöhung ist bei etwa 10 % der Untersuchungen zu erwarten. Dies bedeutet eine über die Lunge hinaus auch die Leber betreffende Erkrankung.

Therapie

Sie umfasst als erstes die Beendigung des Rauchens, wenn nicht schon geschehen. Vermeidbare Belastungen der Atemwege, zum Beispiel im Rahmen vieler Berufe, müssen abgestellt werden (Umschulung, Schutzmaßnahmen).

Die medikamentöse Therapie besteht aus der Gabe von Bronchienweitern einschließlich der Gabe von lokalem einatembarem Cortison. Zur Vorbeugung von Infektionen werden Impfungen gegen Grippe und den häufigsten Erregern von Lungenentzündungen (Pneumokokken) empfohlen. Die Grippeimpfung muss leider jedes Jahr wiederholt werden, die Pneumokokkenimpfung alle 6 Jahre. Ab einem bestimmten Schweregrad der Erkrankung sind Rehabilitationsmaßnahmen (früher Kur genannt) sehr sinnvoll. Hier lernt der Patient mit der Lungenerkrankung umzugehen und sich körperlich zu trainieren. Im Anschluss daran ist auch, wenn am Heimatort möglich, Lungensport sehr sinnvoll. Infektionen der Atemwege müssen intensiv mit frühem Einsatz von Antibiotika bekämpft werden.

Bis hierhin gleicht die Therapie des AATM der Therapie der gewöhnlichen COPD. Nun gibt es eine Besonderheit: Wir kennen den Grund der Erkrankung, den Mangel an Alpha-1-Antitrypsin.

Dieser kann durch eine wöchentliche Infusion eines Konzentrates aus Alpha-1-Antitrypsin ausgeglichen werden und deshalb wurde ab 1989 ein entsprechendes Präparat zugelassen. Man nennt diese Therapie Substitutionstherapie. Die Gabe ist nur über eine Infusion möglich, da das Eiweiß nur so wirksam an seinen Bestimmungsort in die Lungen gelangen kann. Im Organismus verteilt sich die Substanz und gelangt dann auch in ausreichender Menge in die Lungenbläschen und die kleinen Atemwege. Vor Ort wird dann der Mangel ausgeglichen, das Gleichgewicht zwischen Proteasen und Antiproteasen wiederhergestellt. Die Gabe über ein Inhalationsgerät ist in der wissenschaftlichen Prüfung. Ausreichende Daten für die Wirksamkeit liegen hier noch nicht vor. Aus Untersuchungen in Deutschland und den USA sind für die Anwendung der Substitutionstherapie enge Grenzen gesetzt. Diese sind bestimmt durch die Höhe des Atemstoßes, die Luftmenge, die nach tiefster Einatmung in einer Sekunde ausgeatmet werden kann. Liegt der Wert zwischen 35 und 60 % des Normalwertes, so ist diese Therapie sinnvoll, zugelassen und damit von der Krankenkasse zu bezahlen. Der Patient muss wissen, dass der Verlust an Lungenfunktion durch das Verschwinden der Alveolen durch die Therapie nicht wieder zurückgebildet werden kann. Nur der weitere Verlust in der Zukunft kann aufgehalten werden.

Ist ein Patient zu schlecht für die Substitutionstherapie, bleiben die zu Anfang beschriebenen Maßnahmen. Bei Sauerstoffmangel muss Sauerstoff zugeführt werden. Da die Patienten mit AATM oft schon mit noch recht jungen Jahren fortgeschrittene Erkrankungsbilder zeigen, ist an eine Lungentransplantation als die eingreifendste Therapie zu denken. Unter den Lungentransplantierten findet sich deshalb trotz der Seltenheit der Erkrankung ein hoher Prozentsatz von Alpha-1-Mangel-Patienten.

Da die Substitutionsherapie sehr teuer ist, wird die Einleitung der Infusionen oft an besonderen Kliniken oder spezialisierten Lungenarztpraxen durchgeführt. Diese Institutionen nennen sich Alpha-1-Center und wurden in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma des Präparates (Talecris Biotherapeutics GmbH) gegründet. Sie sind über ganz Deutschland verteilt und dienen dem Patienten und auch weniger erfahrenen Ärzten als Anlauf- und Beratungsstelle.

Zweimal im Jahr sollte ein Alpha-1-Patient einen Lungenarzt sehen. Lungenfunktion, laborchemische Untersuchungen, Ultraschall der Leber und des Herzens sollten durchgeführt werden. Seltener als die Lungenerkrankung finden sich die Lebererkrankungen. Viele homozygote Alphas haben bereits in der Zeit direkt nach der Geburt eine längere Zeit eine Neugeborenengelbsucht. Diese Gelbfärbung der Haut ist Folge des nach der Geburt vor sich gehenden Austausches des im Mutterleib vorhandenen roten Blutfarbstoffs gegen den normalen Blutfarbstoff. Eine über viele Wochen anhaltende Gelbsucht mit erhöhten Leberwerten kann der Beginn einer Lebererkrankung sein. Bis hin zur Leberschrumpfung geht das Erkrankungsbild, sogar Lebertransplantationen werden bisweilen notwendig. Hat ein Alpha das Erwachsenenalter erreicht oder ist bereits ein Emphysem aufgetreten, so ist nur in wenigen Fällen dann auch noch die Leber ein Problem. Es finden sich dann oft nur leicht erhöhte Leberwerte. Bei Nichtrauchern, die kein Emphysem haben, ist die Leberzirrhose in vielen Fällen die Todesursache, manchmal auch die Entwicklung eines bösartigen Lebertumors.

Weitere Maßnahmen

Da eine Erberkrankung vorliegt, sollte mit dem Patienten intensiv über die Frage gesprochen werden, ob nicht in der Verwandtschaft nach weiteren Trägern des Gendefektes gesucht werden sollte. Insbesondere noch gesunde Geschwister könnten dann über das Risiko zu erkranken informiert werden. Da alle Kinder eines homozygoten Defektträgers das defekte Gen erhalten, ist danach zu fahnden, ob der andere Elternteil ein gesundes Gen hat. Da 3-4 % der Bevölkerung in Deutschland ein defektes Gen haben, ist die Möglichkeit eines homozygoten Nachwuchs durchaus nicht selten. Das Erkrankungsrisiko und Vermeidungsstrategien (Rauchen, Infekte, Berufswahl) sollten besprochen werden.

Wie für viele seltene Erkrankungen gibt es auch für den AATM ein nationales Register, das wie das Zentrallabor in Marburg beheimatet ist und an das Internationale Register angeschlossen ist. Die Erkrankungs- und Funktionsdaten sowie Lebensqualitätsmerkmale und ihre krankheitsbedingten Einschränkungen werden abgefragt und mittels jährlich verschickter Folgefragebögen aktualisiert. Durch die Sammlung größerer Patientendaten sollen auch Erkenntnisse über den Verlauf der Erkrankung sowie deren Beeinflussung durch die medizinischen Maßnahmen gewonnen werden. Zahlreiche Patienten sind in Selbsthilfegruppen organisiert. Lokal, regional aber auch national und international haben sich Betroffene organisiert. Ob es um den Austausch eigener Erfahrungen, Verarbeitung von ängsten oder Ratschläge für das tägliche Leben geht oder um die Durchsetzung von Forderungen gegenüber Behörden, Politik und Krankenkassen, alles kann hier besprochen werden. Auch um neueste medizinische Informationen geht es vorrangig, mancher Patient ist Spezialist in eigener Sache.

Zusammenfassung

Der Alpha-1-Mangel ist selten, seine Entdeckung in frühen Stadien noch seltener. ärzte müssen durch Weiterbildung geschult werden, eher daran zu denken und den in dieser Hinsicht eindeutigen Empfehlungen nationaler und internationaler Expertengremien zu folgen. Da sich der Defekttyp im Leben nicht mehr ändert, ist bei vielen Lungenkranken, von denen es in Deutschland sicher 8 Mio. gibt, einmal nach dem Defekt zu suchen. Auch wenn die meisten Untersuchungen normal ausfallen werden, ist die frühzeitige Entdeckung des schweren Mangels für den betroffenen Patienten segensreich.
Der Slogan "Daran denken kann Lunge und Leben retten" bleibt aktuell.

Quelle:
Kongresszeitung - Symposium-Lunge Dr. med. Heinz Steveling
Universitätsklinik, Ruhrlandklinik Essen

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